Freitag, 23. September 2011

Zwischen Popst und Politik

Mindestens zwei deutsche Politiker werden Gott bzw. seinem Vertreter auf Erden, dem Papst, für dessen Besuch in Deutschland für immer und ewig dankbar sein: nach Wochen, gar Monaten negativer Medienberichte können Merkel und vor allem Rösler dank dem umstrittenen Papstbesuch endlich eine mediale Verschnaufpause einlegen. Endlich gibt es in der Presse mal ein anderes Topthema als Euro-Rettung und Regierungskrise. Man fragt sich schon, wo die beiden abgeblieben sind, so still ist es derzeit um sie geworden. Möglicherweise gibt es morgen in der Bild-Zeitung die ersten Schlagzeilen: "Skandal beim Oktoberfest: Rösler tanzt nackt mit Merkel auf den Tischen". Na dann Prost!
Dabei ist es schon erstaunlich, wie der Papst nach sechs relativ unspektakulären Amtsjahren die Gemüter der Deutschen plötzlich zu bewegen vermag. Ausgelöst durch die Einladung an den Papst, während eines Deutschlandbesuchs eine Rede im Bundestag zu halten, kündigten um die 100 Parlamentarier der Opposition an, die Rede zu boykottieren. Ein religiöser Würdenträger habe auf der weltlichen Regierungsbühne nichts zu suchen. Daraufhin konnten sich die christlichen (und etwas kleinlauteren liberalen) Regierungsparteien nach einer langen Durststrecke endlich mal wieder am vermeintlichen Fehlverhalten ihrer politischen Gegner gütlich tun. Immerhin ist der Papst ja auch das Regierungsoberhaupt des Vatikans und insofern auf jeden Fall berechtigt, den Bundestag mit seinen Sichtweisen zu erhellen. Und während der Papst eine unerwartet harmlose und im Hinblick auf die Erwartungen tatsächlich enttäuschende Rede vor den restlichen Regierungsvertretern und einem Haufen "Ehrenamtlicher" hielt, liefen 9000 Kirchenkritiker, Schwule, Lesben und Missbrauchsopfern auf einem Protestmarsch durch die Hauptstadt, um ihrem Unmut gegen den Papst Luft zu machen. Gegen seine Ignoranz gegenüber der Ökumene, seine Sanktionierung von Homophobie, seine Ablehnung von Kondomen als Schutz vor Geschlechtskrankheiten, seine Tatenlosigkeit gegenüber Missbrauchsopfern, kurzum gegen eine rückwärtsgerichtete katholische Kirche. Gekrönt wurde dann der gestrige Tag durch eine Messe der Superlative im Berliner Olympiastadion, die den Papst eher wie einen Popst(ar) inszenierte.

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Da wundert es kaum mehr, dass ein Teil der Berichterstattung nach tagelanger kritischer Betrachtung des Papstbesuchs nun nahezu missionarisch daher kommt. Ein Spiegel Online Artikel z.B. berichtet über einen Papst-Fan, der seinem vorherigen Lotterleben abgeschworen hat, um Priester oder gar Mönch zu werden, denn "Der Herr ist mit den Sündern". Bei Zeit Online wird "mit dem Papst" gefeiert und ausschließlich die Glückseligkeit von singenden Jugendlichen, gottesfürchtigen Müttern und sogar von frommen Schaulustigen in einer Neuköllner Kirche beschrieben, die alle nur das eine wollen: den Papst mit eigenen Augen sehen und eine Messe mit ihm erleben. In einem anderen Zeit Online Bericht kommt die Redakteurin zu dem erstaunlichen Schluss "Auch Päpste können vernünftig sein" und erteilt den Papstkritikern, die sie "Dogmatiker aller Lager" nennt, eine fette Absage. Der Papst hätte im Bundestag ein "einsichtiges, sachliches, bescheidenes, versöhnliches, kluges – mit einem Wort: vernünftiges Auftreten" an den Tag gelegt und zwei "ganz große Menschheitsthemen" in seiner Rede in den Mittelpunkt gestellt. Vernunft und Gerechtigkeit, das sind in der Tat wichtige Themen, jedoch hat eine philosophische, mit Bibelzitaten gespickte Abhandlung über diese Begriffe und ihr Verständnis nichts zu tun mit der Realität in der modernen Welt: wo ist die Vernunft in der Verdammung von Kondomen als Verhütungsmittel, wenn es im religiösen Afrika kaum kontrollierbare Überbevölkerung, Hungersnöte und Millionen AIDS-Infizierte gibt? Worin besteht die Gerechtigkeit, wenn katholische Priester sich an ihren Schützlingen vergehen? Was haben heutzutage Vernunft und Gerechtigkeit mit Homophobie und der vermeintlich "natürlichen Stellung der Frau" zu tun? Das päpstliche Verständnis dieser beiden Werte, Vernunft und Gerechtigkeit, ist nun mal geprägt von dem Jahrtausende alten und mittlerweile extrem realitätsfernen Dogma der katholischen Kirche und hat in diesem Sinne im politischen Alltag der modernen Welt keine Relevanz. Zumindest solange, bis die katholische Kirche, allen voran der Papst, ihre philosophischen Gedankengänge endlich mit den realen Problemen in der Welt verknüpft und zu wahrhaft vernünftigen Schlussfolgerungen kommt: der offene und willkommene Dialog der Kirche mit anderen Konfessionen, kostenlose Verhütung für alle, die es nötig haben, Gleichberechtigung von Homosexuellen und Frauen in der Gesellschaft und der Kirche und Entschädigungen für diejenigen, die von katholischen Priestern missbraucht und gequält wurden.
Zum Glück gibt es genügend Redakteure bei Zeit, Spiegel, Stern und Co, die die Ereignisse mehrdimensionaler betrachten können und interessante Interviews und Berichte schreiben. Besonders der Witz über die Toleranzprobe des Papstes hat es mir angetan: "Benedikt trifft in Berlin auf einen katholischen Geschiedenen, eine protestantische Pfarrerstochter und einen schwulen Bürgermeister". Gemeint sind natürlich Bundespräsident Wulff, FRAU Kanzlerin Merkel und Berlins SCHWULES Oberhaupt Wowereit. Die Ironie dieser Begegnungen versöhnt mich dann schon wieder, obgleich die offensichtliche Heuchelei, die dahinter steckt, fast das nächste Fass zum Überlaufen bringt.
Es ist aber beruhigend zu wissen, dass nächste Woche wieder alles beim Alten sein wird: Merkel und Schäuble gegen Rösler und Seehofer, Opposition gegen Regierungsparteien, Herbst gegen Spätsommer, Europa gegen den Rest der Welt. Es bleibt spannend.

1 Kommentar:

  1. Sehr schön geschrieben und Recht haste! Trifft er eigentlich noch unseren schwulen Außenminister? Der arme Papst- Sodom und Gomorrha - und das in seinem Heimatland!

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