Montag, 15. Oktober 2012

Hexenjagd Reloaded

Nach Guttenberg, Koch-Mehrin, Althusmann und Chatzimarkakis hat es nun eine weitere prominente Politikerin erwischt: Bundesbildungsministerin Annette Schavan. Offenbar hatte bereits im Mai ein anonymer Blogger Plagiatsvorwürfe gegen ihre über 30 Jahre alte Doktorarbeit vorgebracht, die jetzt von einem Gutachten eines Professors der Universität Düsseldorf untermauert werden, wie auf tagesschau.de berichtet wird.

Renate Künast, Bildquelle
Natürlich haben sich gleich ein paar Leichenfledderer gefunden, die ohne viel Umschweife den Rücktritt der Ministerin fordern, da ihre Glaubwürdigkeit beschädigt sei. So auch Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast, deren Namen im Gegensatz zu Schavans übrigens nicht von der iOS Spracherkennung erkannt wird. Dies aber nur am Rande. Im Gegensatz zu Schavan und anderen an den Doktorpranger gestellten Politiker hat Künast auch erst gar keine Doktorarbeit geschrieben, was es sicherlich sehr erleichtert, mit dem Steinewerfen anzufangen. Denn wer keine Doktorarbeit geschrieben hat, kann auch nicht mit dem Boomerang des Plagiatsvorwurfs getroffen werden. Logisch.

Nun habe ich weder Guttenbergs noch Schavans Arbeit je gelesen und werde es sicherlich nicht mehr tun, aber was mich bei diesen Vorwürfen jedes Mal wundert, ist die Tatsache, dass die Vorwürfe erstens anonym erhoben werden, dass zweitens fehlerhafte Zitierweisen als Plagiat bezeichnet werden und drittens selten bis nie ein verständnisvoller Ton in dieser zur Farce gewordenen Schlammschlacht angeschlagen wird. Stattdessen wird eine regelrechte Hexenjagd veranstaltet und man sucht vergeblich nach Hintergründen zu der Definition von Plagiat, zu den Lebensläufen der ach so fehlerlosen Ankläger oder womöglich zu einer Rekapitulation der Erfolge der Angeklagten in den letzten Jahrzehnten, ungeachtet der aktuellen Vorwürfe. Ein Doktortitel ist schließlich nicht die einzige Grundlage für eine mehr oder weniger erfolgreiche Karriere als Politikerin.

Ich für meinen Teil erinnere mich noch sehr gut daran, wie ich 5 Monate lang schwer an meiner Magisterarbeit zu tragen hatte, bis sie dann kurz vor knapp endlich den Weg in den Postkasten fand. 5 Monate ein ständiges Pochen im Hinterkopf, 5 Monate lesen, Notizen kritzeln, schreiben, verwerfen, editieren, prokrastinieren, lesen, vergessen, suchen, Asyl im Uni-Café finden, heulen, fluchen, schlaflose Nächte verbringen und schreiben, schreiben, schreiben. Und ja: zitieren, verweisen, Fußnoten schreiben, Zitierweisen recherchieren, und letztendlich hoffen, dass man nichts vergessen hat. Und das waren nur 80 Seiten, nicht 360. Ich hege große Bewunderung für jeden, der sich 2 oder gar 3 Jahre lang mit einem Thema so en detail beschäftigen kann und dabei auch noch einen dicken Wälzer Hirnschmalz produziert.

erhältlich bei amazon.de, Bildquelle
Im Übrigen möchte ich denjenigen Akademiker kennen lernen, der mit absoluter Sicherheit behaupten kann, in seiner Arbeit 100 Prozent korrekt zitiert zu haben. Und da ich gerade, zugegebenermaßen etwas verspätet das großartige Buch "Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand" von Jonas Jonasson gelesen habe, habe ich gleich ein Bibelzitat aus dem Johannesevangelium parat (denn bei einigen scheint das ja die einzige Argumentationsgrundlage zu sein): "Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie." Mit diesem Richterspruch soll Jesus einer Ehebrecherin das Leben gerettet haben, denn keiner der Ankläger fühlte sich daraufhin bemüßigt, den ersten Stein zu werfen. 

In Anbetracht der Schwere der Vorwürfe gegen Annette Schavan - schließlich soll die BILDUNGsministerin wissentlich und wissenschaftlich betrogen haben - wird sich hoffentlich herausstellen, dass es sich bei den angeblichen Verstößen auf 60 von 351 Seiten tatsächlich um Plagiate und nicht nur um Zitierfehler handelt. Alles andere wäre arglistiger Rufmord, was bedeutet, dass über derartige Vorwürfe in Zukunft mit deutlich mehr Vorsicht und vor allem mit deutlich mehr Umsicht berichtet werden müsste.

Und liebe Frau Künast, Ihnen wünsche ich eine ordentliche Portion Glück, allzeit gute Fahrt und stets vorbildliches Verhalten. Sonst sind Sie womöglich die nächste, deren Karriere an einem Strafzettel oder einem anders gearteten Ausrütscherchen scheitert.

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